Oberkirche

 

Die Kirche “Unser Lieben Frauen am Berge” oder auch Berg- oder Oberkirche in Bad Frankenhausen wurde am 25.04.1382 als Basilika im gotischen Stil fertig gestellt. Die Brüderschaft “Corporis Christi” (Leichnam Christi) ließ sie auf den Fundamenten einer verfallenen romanischen Anlage errichten.
Der heute wegen seiner markanten Schiefstellung bekannte Turm wurde nach Grabungsergebnissen im Kirchenschiff (06/2021 vom Thüringer Landesamt für Denkmalschutz veröffentlicht) ursprünglich als Wehrturm der Frankenhäuser Stadtmauer errichtet.
Lange Zeit bestimmte die Oberkirche das Bild Frankenhausens dominanter als die - ehemals zahlreichen - anderen Kirchen der Stadt. Der älteste Teil des Kirchenschiffes war als Gewölbebau und mehrschiffiges Langhaus ausgeführt. Spitzbogige gotische Fenster und Türen zierten das Bauwerk. Der Turm hatte ursprünglich ein spitz zulaufendes Dach mit vier kleinen Seitentürmen. Zu ihren Glanzzeiten besaß die Oberkirche viele Altäre und verfügte über hohe Einkünfte.
 
Im Verlauf des Bauernaufstandes, dessen Schlacht bei Frankenhausen am 15. Mai 1525 oberhalb der Stadt tobte, wurde die Oberkirche beschädigt und geplündert. Die im Grunde Luthers Wirken gewogenen Schwarzburger Grafen versuchten - beeindruckt durch den Bauernkrieg und die Schlacht bei Frankenhausen - die Umsetzung der Reformation in ihren Landen zu unterbinden. Deshalb erlangten ihre Untertanen in dieser Region erst 1539 ihre Religionsfreiheit. Im gleichen Jahr fand in der Oberkirche der letzte katholische Gottesdienst statt. Erst danach wurde der erste protestantische Geistliche an die Kirche berufen.

Im Jahr 1559 wurde die große Glocke der St. Jacob-Pfarrkirche, die nach einem Brand 1546 stark beschädigt und 1557 abgerissen wurde, auf den Oberkirchturm aufgezogen.

Im Dreißigjährigen Krieg (1618 - 48) wurde die Oberkirche - besonders während der dreitägigen Plünderung vom 21.- 24.10.1632 - erneut geplündert. In diese Zeit fällt auch ein Mord, der in der Oberkirche erfolgte: Der Frankenhäuser Rittmeister Weidenbach erschoss am 11.12.1642 seinen Nebenbuhler Caspar Gerlach während einer Predigt.
Bereits im Jahre 1692 wird dokumentiert, dass die Kirche sehr baufällig gewesen sein soll und eine Ausbesserung zwingend erforderlich war. Mangelnde Mittel waren die Ursache für eine sehr schleppende Sanierung, bei der das Bauwerk zudem rücksichtslos verunstaltet wurde und seine frühere Großartigkeit verlor. Besonders der Anblick von der Südseite zeugt noch heute von den regellos durchgeführten Veränderungen. Erst 1724 konnte die erste Leichenpredigt  in der sanierten Kirche gehalten werden, die am 14. September 1727 wieder eingeweiht wurde.

Im Siebenjährigen Krieg (1756 - 1763) wurde die Kirche durch durchziehende Truppen ein weiteres Mal geplündert. Am 27.05.1759 fiel die Spitze des Oberkirchturms einem der vielen Stadtbrände zum Opfer. Ein Übergreifen auf das gesamte Kirchengebäude konnte zwar verhindert werden, aber Übereifrige richteten großen Schaden an, als sie die Pfeifen der Orgel heraus rissen, um sie vor den Flammen zu retten. Bereits am 13. Juli 1760 wurde mit dem Neubau des oberen Turmteils begonnen, der am 22.08.1761 als barocker Bau beendet wurde. Dabei wurde der damals schon vorhandenen Schiefstellung des Turms bautechnisch entgegen gewirkt. Die bei dem Brand vernichteten Glocken wurden 1765 ersetzt.
 

Oberkirche Bad Frankenhausen (Südseite) Stand: Sommer 2005
Oberkirche
Bad Frankenhausen
(Südseite) Stand: Sommer 2005
Oberkirche um 1920 aus südöstlicher Richtung (Foto: Martin Gaerth, Sondershausen)
Oberkirche um 1920
aus südöstlicher Richtung
Foto: Martin Gaerth, Sondershausen


Während des französischen Eroberungsfeldzuges 1806 erlitt die Kirche neue Schäden, als 2678 gefangene Preußen unter der Bewachung von 300 Franzosen nach Frankenhausen gebracht und Ober- und Unterkirche der Stadt als Gefangenenlager missbraucht wurden. Das Kircheninnere war anschließend sanierungsbedürftig und die Orgel unbrauchbar. Eine neue Orgel und die notwendige Sanierung wurden durch Spenden finanziert und die neue Orgel am 01.05.1867 geweiht.

Im Jahr 1908 hat die Schrägstellung der Kirche durch einen Erdfall ca. 400 m östlich (im Bereich Friedhof Ostseite) mit starker Absackung von Erdmassen und Wasserabfluss enorm zugenommen. Erste Baumaßnahmen zur Absicherung der Schiefstellung des Oberkirchturmes wurden 1911 durchgeführt. Dabei wurden vor der Nordostecke zwei 11 m hohe Strebpfeiler aus Sandsteinquadern mit Beton- und Steinfüllung errichtet, die der Neigung des Turms entgegenwirken sollten, aber leider nicht den erwünschten Effekt erzielten. Ebenso wurden aufgetretene Risse im Mauerwerk abgedichtet. Nach diesen Erhaltungsmaßnahmen wurde die Kirche am 08.10.1911 neu geweiht. Die große Glocke fiel 1917 zusammen mit der mittleren Glocke dem 1. Weltkrieg zum Opfer. Die verbliebene kleine Glocke wurde nach dem ersten Weltkrieg durch den so genannten Seier der Gottesackerkirche (1971 abgerissen, ehemaliger Standort im heutigen Botanischen Garten) ergänzt.


Im Frühjahr 1920 wurden erstmals Bohrungen zur Untersuchung der Untergrundverhältnisse durchgeführt. Dabei wurde eine Neigung des Turms gegen die Senkrechte von 5 cm auf 1 m Höhe festgestellt. 1925 wurde das Gebäude wegen Einsturzgefahr baupolizeilich gesperrt und der Abriss erwogen. Ein Kostenvoranschlag aus dieser Zeit ergab, dass die Kosten für Abriss oder Sanierung etwa gleich hoch sein würden.

Prof. Rüth aus Dresden veranlasste zwischen September 1935 und März 1936 erfolgreiche Erhaltungsmaßnahmen an der Oberkirche: Ringanker aus Flacheisen wurden um den Turm gelegt und verankerten ihn von nun an mit dem Langhaus. Anschließend wurde der Ostgiebel der Kirche abgerissen, da er durch die unter ihm hindurchführende Erdspalte stark gerissen und verschoben war. Er wurde durch einen in Leichtbauweise errichteten Giebel aus Bimsbeton-Hohlblocksteinen mit Eisenbetonskelett ersetzt. Am 27. Juni 1937 fand der Einweihungsgottesdienst in der wiederhergestellten Oberkirche statt.

Gegen Ende des zweiten Weltkrieges wurde die Oberkirche als Arsenal der SS benutzt. Nachdem die Alliierten Truppen die dort gehorteten Güter im Frühjahr 1945 zur Verteilung freigaben, wurde die Kirche durch den Ansturm der Bevölkerung erneut geplündert. Orgel, Fenster und Kircheninneres wurden dabei stark zerstört.

1952 erhielten Turm und die Südseite des Kirchenschiffes eine neue Schiefereindeckung. Wegen Schwammbefall musste das Kirchendach jedoch 1962 abgetragen werden. Im selben Jahr erfolgte die Entwidmung der Oberkirche

1984 wurde die gesamte Kirche durch die Staatliche Bauaufsicht des Kreises Artern gesperrt. Aus Sicherheitsgründen wurde der Abriss der barocken Turmhaube gefordert. Da kein Baubetrieb im ehemaligen Kreis Artern über entsprechende Gerüstkapazitäten oder Kräne verfügte, konnte der Abriss nicht erfolgen.

Nach erneuten Sicherungsmaßnahmen am Turm konnte die Vollsperrung am 09.09.1993 in eine Teilsperrung umgewandelt und am 12. September 1993 der erste Gottesdienst in der Ruine der Oberkirche abgehalten werden. Zwischen 1999 und 2001 wurden weitere Maßnahmen zur Turmstabilisierung durchgeführt.

Nach letzten Messungen erreicht der etwa 2300 Tonnen schwere Turm der Oberkirche eine Neigung von ca. 5,2 ° (bezogen auf die Gesamthöhe; der 20 m hohe Turmschaft neigt sich jedoch etwas mehr, da die Turmhaube von 1761 bewusst gegenläufig schief aufgesetzt wurde). Die Spitze des 56 m hohen Turms ist damit 4,83 m in Richtung NO außer Lot (Stand: Herbst  2022).  *)
Bis zum Jahr 2008 neigte sich der Oberkirchturm pro Jahr durchschnittlich 55 bis 60 mm mehr. Ursache sind vorrangig Senkungserscheinungen östlich des Kirchturms. Außerdem wurde ein größerer Hohlraum (Höhe 2,5 m; Volumen 90 - 100 m³) nordwestlich des Turmes festgestellt. Nach größeren Niederschlägen kann mit 4- bis 6- wöchiger Verzögerung eine erhöhte Turmneigung beobachtet werden.
Nach ersten Sanierungsmaßnahmen beträgt die mittlere Neigung pro Jahr aktuell ca. 2 cm (bezogen auf 2008-2012).
Im August 2007 wurde bei Erkundungsbohrungen in 25 m Tiefe unter dem Turm Sole angetroffen, die in ihrer Zusammensetzung der Sole der 160 m entfernten Elisabethquelle im Quellgrund entspricht. Durch Einbringen von Farbstoff in die Wasser führenden Schichten unter der Kirche konnte eine direkte Verbindung mit der Elisabethquelle nachgewiesen werden (Farbaustritt an der Quelle 2 Stunden nach Einbringung an der Oberkirche).

Am 05.12.2011 beschloss der Stadtrat der Stadt Bad Frankenhausen vorrangig mit den Stimmen von SPD, Linke und ProF den Kauf der Oberkirche, um den Turm vor dem unmittelbar bevorstehenden Abriß durch die Evangelische Landeskirche Thüringen zu retten.
Im April 2015 konnten endlich - nach vorhergehenden zähen Kampf um die für die Baumaßnahmen notwendigen Gelder und gegen die Gegner des Turmerhalts - die Sicherungsarbeiten für eine dauerhafte Erhaltung des Oberkirchturms beginnen.
Weitere Sicherungsarbeiten und ein Ausbau mit dem Ziel der Touristischen Erschließung folgten

Der am 16. Mai 1992 gegründete Förderverein Oberkirche Bad Frankenhausen e. V. engagiert sich für den Erhalt der gefährdeten Ruine und unterstützte u.a. bei der Beschaffung von Finanzmitteln für den Erhalt des Turms.
 

Oberkirche Innenansicht 1937 - 44
Oberkirche Innenansicht 1937 - 44 **)
Gotische Sonnenuhr am Südportal, Jahreszahl 1505, Zustand vor der Restaurierung 2006
Gotische Sonnenuhr am Südportal
Jahreszahl 1505 (2004 unter Verputz entdeckt)
Zustand vor der Restaurierung 2006


Die Neigung vom schiefen Kirchturm von Bad Frankenhausen:

- 1640 : Schiefstellung erstmals erwähnt
- 1920 : 2,21 m
- 1960 : 3,60 m
- 2001 : 3,89 m
- 2005 : 4,22 m  (Oktober 2005)
- 2007 : 4,30 m  (Februar 2007)
- 2007 : 4,41 m  (Oktober 2007)
- 2010 : 4,445 m (März 2010)
- 2012 : 4,49 m (September 2012)
- 2013 : 4,60 m (Juni 2013)
- 2022 : 4,83 m

Der kritische Kipppunkt liegt nach Berechnungen bei 6,07m.


*) als Vergleich: der Turm von Pisa (55 m Höhe, Gewicht 14.200 t) hat eine Neigung von 3,97 °.
**) Foto mit freundlicher Genehmigung des Fördervereins  Oberkirche Bad Frankenhausen e. V.
 

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